Die Kirche im Regenwald
Ingrid und Siegfried Lachenicht
Wie finden Menschen den Sinn für ihr Leben? Diese Frage mussten sich Siegfried und Ingrid Lachenicht nie stellen. Denn es war der katholische Glaube, der den beiden Orientierung und Lebenssinn zugleich bot.Die Messe am Sonntag war für sie mehr als eine Selbstverständlichkeit. Sie war der Höhepunkt der Woche. War - denn inzwischen kann Siegfried Lachenicht sie aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr besuchen. "Das bedeutete einen großen Einschnitt für mich", sagt der pensionierte Regierungsdirektor. "Die Übertragungen der Messe im Radio sind ein Ersatz, aber eben nur dies - Ersatz."
Für das Ehepaar, geboren in den 1930er Jahren und geprägt von Krieg und Nachkriegszeit, verbinden sich mit dem katholischen Glauben Werte, die heute selten geworden sind. Persönliche Bescheidenheit zählt dazu, Pflichtbewusstsein und Nächstenliebe. "Wir haben uns nur einen Luxus geleistet", erzählt das Ehepaar, "und das waren Bücher." Vor allem solche über Glaubensfragen und Theologie, und daraus ist in all den Jahren des Sammelns eine stattliche Bibliothek geworden.
Denn der Glaube bietet für die Lachenichts zugleich eine spannende intellektuelle Herausforderung. Es macht ihnen Freude nachzuvollziehen, auf welcher exegetischen Grundlage Papst Benedikt die Liebe zu Gott begründet und wie anders Papst Franziskus vorgeht. "Die Thesen von Franziskus sind unserem Herzen näher", fasst Siegfried Lachenicht zusammen. Warum? "Weil er die Barmherzigkeit in den Mittelpunkt stellt. Das finde ich klasse." Nächstenliebe, so empfinden es die Lachenichts, ist gelebter Glaube und die wichtigste Botschaft Gottes. Eben deshalb sind die beiden Stifter geworden. Doch der Weg dahin war lang - und manchmal auch ein wenig umständlich.
Am Anfang stand eine persönliche Begegnung. Auf dem Rückflug von einer seiner Dienstreisen nach Lateinamerika lernte Siegfried Lachenicht Bischof Tomás Romero Gross aus Ecuador kennen. Der erzählte ihm von einem Missionshaus, dem Parish Center San Antonio de Sarayacu, das er im ecuadorianischen Teil Amazoniens gegründet hatte, um weitab von jeder Zivilisation den Glauben erlebbar zu machen. Lachenicht, der auf seinen Reisen das Ausmaß der wirtschaftlichen Not der Menschen in Lateinamerika kennen gelernt hatte, war begeistert.
Zurück in Köln, wo das Ehepaar bis heute lebt, berichtete er seiner Frau von diesem Projekt im Regenwald. Die beiden beschlossen, den Bischof mit ihren Ersparnissen zu unterstützen, um die Ausstattung der Mission zu finanzieren. Gespendet hatte das Ehepaar schon immer. "Doch nun hatten wir uns zum ersten Mal für ein ganz konkretes Projekt engagiert und konnten dort direkt helfen", erinnert sich Siegfried Lachenicht. "Das war ein ganz neues Gefühl. Wir wussten, das unsere Hilfe genau da ankommt, wo wir es wollen." Per Kanu wurden die mit dem Geld derLachenichts erworbenen Möbel und Einrichtungsgegenstände über den Bobonaza-Fluss zu der Mission transportiert.
Viele Jahre haben die beiden die Arbeit des Bischofs in der Provinz Pastaza gefördert. Unter anderem unterstützten sie auch den Bau einer Kirche, und dabei speziell die stählerne Dachkonstruktion. Zum Dank benannte die kleine Gemeinde die Glocken nach dem Ehepaar. Bis heute rufen "Ingrid" und "Siegfried" die Gläubigen in ElTriunfo zur Messe. Doch nach dem Tod des Geistlichen brach der Kontakt zu der Gemeinde ab. Das Ehepaar machte sich auf die Suche nach einem neuen Partner, mit dem sie ihre persönliche Vorstellung von Nächstenliebe realisieren konnten. Langfristig aber erwiesen sich die Alternativen nicht als zufriedenstellend.
Im Frühjahr 2013 wurde Siegfried Lachenicht erstmals auf die Caritas-Stiftung Deutschland aufmerksam, und damit kam eine neue Erkenntnis. "Stiften - danach hatten wir gesucht", erinnert sich der Pensionär. Denn da das Kapital unangetastet bleibt, ermöglicht eine Stiftung wirklich dauerhaftes Engagement, das über Generationen währt. Und genau das war es, was die beiden wünschten.
In den Jahrzehnten ihrer Berufstätigkeit - sie als Übersetzerin an der Universität Köln, er als Fachbereichsleiter beim Bundesinstitut für Sportwissenschaften - hatte es das kinderlose Paar vermocht, neben seiner Spendentätigkeit ein kleines Vermögen anzusparen. Es bildet jetzt den Grundstock für ihr soziales Engagement. Einen Teil davon haben sie verwendet, um ihre Lachenicht-Stiftung auszustatten, die unter dem Dach der Caritas-Stiftung Deutschland gegründet wurde. Sie unterstützt die soziale Arbeit von Caritas international in Lateinamerika. "Für die Menschen dort schlägt unser Herz", sagen die Eheleute. Die Professionalität der Caritas, so betonen sie, biete außerdem die Gewähr dafür, dass die Mittel effizient eingesetzt werde und die Hilfe wirklich ankommt.
Darüber hinaus haben die Lachenichts in ihrem Erbvertrag ein Vermächtnis eingerichtet: Ihre Stiftung wird das Vermögen der beiden erben. "Für uns war es wichtig, einen Weg zu finden, mit der wir im wahrsten Sinne des Worte gut leben können", erläutert Siegfried Lachenicht. "Mit dem Vermächtnis haben wir Regelungen getroffen, die uns zu Lebzeiten volle Gestaltungsfreiheit bieten." Damit ist sichergestellt, dass auch im Falle einer Pflegebedürftigkeit ausreichende Mittel für die Pflege zur Verfügung stehen.
Denn eines ist den beiden Lachenichts deutlich geworden: Im achten Lebensjahrzehnt lassen die Kräfte nach. "Wir freuen uns über jeden Tag, den wir unbeschwert verbringen können", sagen sie. "Unsere Stiftung wachsen zu sehen, trägt zu dieser Freude bei."